I han scho Angscht ghedd, da komma Flüchdling“

Das Erzählcafe´ im ev. Gemeindehaus wirkte als Besuchermagnet; eingeladen hatte die Initiative Gemeinsam für Flüchtlinge in RSKN und die beiden örtlichen Kirchengemeinden (Foto: Jörg Exner)
Das Erzählcafe´ im ev. Gemeindehaus wirkte als Besuchermagnet; eingeladen hatte die Initiative Gemeinsam für Flüchtlinge in RSKN und die beiden örtlichen Kirchengemeinden (Foto: Jörg Exner)

Esslingen, 1. März 2019 - „Oh, da bin I abr froh, dess Sie des sind. I han scho Angscht ghedd, da komma Flüchdling“. Diese besondere Art der Begrüßung ist ihr noch immer im Ohr. Die „Raegschmeckdr“ stammt ursprünglich aus Szczecin (Stettin) in Polen. Nach dem Krieg verschlug es sie in den Esslinger Stadtteil RSKN. Hier anerkannt und richtig heimisch fühlt sich die inzwischen über 80 Jahre alte Rita Götz nach eigenem Bekunden aber erst, seitdem sie über Jahre hinweg lernte, schwäbisch zu „schwädza“.

Flüchtling – das Wort hatte zu keiner Zeit einen Wohlklang; nach wie vor bringt die Zuschreibung eine gehörige Portion Abneigung zum Ausdruck. Sie richtete sich früher gegen „die aus dem Osten“, und heute vermehrt gegen die  „Neibürgr“ aus entfernteren Kulturkreisen. Ausgebombt, geflüchtet, vertrieben; wer das erlitten hatte, der konnte bei Alteingesessenen jedenfalls nicht ohne weiteres mit gastlicher Aufnahme rechnen oder gar auf uneigennützige Nächstenliebe bauen. Entbehrung, Erniedrigung und Ausgrenzung – das waren nach dem Krieg die prägenden Erfahrungen einer ganzen Generation gewesen. Und es war alles andere, nur nicht leicht, Flüchtling im eigenen Land zu sein, in einer Heimat, die keine Geborgenheit bot, eine Heimat, die sich nicht zuletzt für Kinder ziemlich kalt angefühlt haben muss. Alleine rund zwei Millionen Angehörige der kurdischen Volksgruppe in Syrien machen heute genau diese Erfahrung.

Nahezu 100 Männer und Frauen besuchten kürzlich (Mittwoch, 27. Februar) im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Sulzgrieser Gespräche“ ein abendliches Erzählcafé. Es stand unter dem Motto: Heimat in der Fremde – Fremde in der Heimat. Vorbereitet und moderiert wurde die Veranstaltung im evang. Gemeindehaus von Ehrenamtlichen beider Kirchengemeinden sowie von Engagierten der Initiative Gemeinsam für Flüchtlinge in RSKN. Im Mittelpunkt standen fünf persönlich erzählte LebensgeschichtenSie wurden  anschließend an den Gästetischen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und mit eigenen Erfahrungen ergänzt.

Auffällig war, dass die Erfahrung von Erniedrigung einerseits und Ermutigung andererseits mitunter ganz dicht beieinander lagen. Ein Italiener, der 1945 in Deutschland geboren wurde, erinnerte beispielsweise daran, dass ihm noch 1966 von einem Beamten der Esslinger Stadtverwaltung dringend nahegelegt wurde, sich die geplante standesamtliche Heirat mit seiner deutschen Frau besser doch noch einmal zu überlegen: „Stellen Sie sich nur vor, es gibt Krieg zwischen Italien und Deutschland, was machen Sie denn dann?“

Ein Mann, dessen Eltern aus wirtschaftlichen Gründen als Gastarbeiter aus Ostanatolien nach Deutschland eingewandert sind, erzählte, wie er als Bub seinen Schulleiter als persönlichen Fürsprecher schätzen lernte. „Du solltest Dich fürs Gymnasium anmelden, hat mir mein Lehrer gesagt. Aber weder ich noch meine Eltern wussten damals überhaupt, was das war“. Später hat er Maschinenbau studiert, jetzt ist er selbständiger Unternehmer und in Deutschland eingebürgert.

Heute sind die Voraussetzungen für Neuzugewanderte und deren Chancen auf gesellschaftliche Eingliederung vergleichsweise viel besser. Bestätigt wird diese Einschätzung besonders von jungen Geflüchteten unter anderem aus Syrien. Sie lobten an den Tischen im Erzählcafé, dass ihnen staatliche Unterstützung gewährt wird. Hierzulande würden  Menschenrechte geachtet, die Demokratie verteidigt und die Rechtsstaatlichkeit garantiert. Und sie bedankten sich vom Podium aus wiederholt für die vielfache Hilfe, die ihnen von Seiten ehrenamtlich engagierter Menschen zu Teil wird.

 

Die Heimat verlassen, in der Fremde ankommen, sich in der neuen Umgebung arrangieren. Es scheint, dass dabei das Verbindende mehr und mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein rückt. Schließlich sind die Schicksale von gestern mit den Lebensgeschichten von heute in gewisser Weise verwandt. Die Bereitschaft aber, aufeinander zuzugehen, die ist heute größer denn je, lautet unter anderem eine Erkenntnis des Abends. Die Initiative aus RSKN kündigte an, sie wolle beispielsweise mit ihrem Begegnungscafé auch künftig dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Einheimischen und Zugewanderten zu vertiefen.